Normalerweise

Normalerweise würde dieser Laufschuh gerade eine gewisse Rolle in meiner Freizeit spielen. Ich wäre nämlich in der wichtigsten Zeit meiner Vorbereitung auf den Gutenberg Marathon in Mainz in drei Wochen. Da wollten wir mit mehreren Läuferinnen und Läufern aus dem Kirchenkreis an der Marathonstaffel teilnehmen. So wie im letzten Jahr. Unsere Zeit lag unter vier Stunden, ganz passabel, oder? Jedenfalls waren wir stolz auf uns und haben beschlossen: nächstes Jahr sind wir hier mit zwei Staffeln vertreten.

Normalerweise wäre das so gewesen. Aber was ist schon normal in diesen Tagen. Normal würde ich auch mal zum Friseur müssen. Geht aber nicht. Normalerweise würden wir jetzt unseren Sommerurlaub planen und uns schon auf das Meer freuen. Normalerweise hätten wir an Ostern die Eltern und Großeltern gesehen und gemeinsam gegessen und getrunken und hätten uns am warmen Wetter gefreut. Aber was ist schon normal in diesen Tagen.

Und normal würden Jugendliche in den nächsten Wochen in unseren Kirchen Konfirmation feiern. Die Vorbereitungen würden beginnen, in den Kirchen, zu Hause. Ich weiß noch, wie das im letzten Jahr war. Eine gewisse Spannung, aber die Vorfreude war riesig. Ein schönes Fest mit vielen lieben Menschen und dem Segen in der Kirche. In einem Gottesdienst, der von Jugendlichen gestaltet wird. Auf den sie sich lange vorbereitet und natürlich gefreut hätten.

Normalerweise. Geht aber gerade nicht. Und dieses „Das geht nicht“ hören wir ja nun schon lange genug in den letzten Wochen. Da kommt verständlicherweise so manche Ungeduld auf. Der direkte physische Kontakt wird doch sehr vermisst. „Aber jetzt könnten wir doch wieder“, denkt sich mancher. Geht aber immer noch nicht, ist die Antwort. Auch bei Gottesdiensten in Kirchengebäuden, wo man so normal zusammen sein könnte wie früher. Ok, war einen Versuch wert. Es ist ja gerade nichts so richtig normal.

Da es bis zum 3. Mai 2020 keine grundlegenden Änderungen an der bisherigen Regelung in Rheinland-Pfalz geben wird, werden wir auch weiterhin nicht mit physischer Präsenz in Kirchengebäuden zusammenkommen können, um dort Gottesdienste zu feiern. Das ist bedauerlich, aber der Schutz der Bevölkerung steht an erster Stelle.

Denn wir alle tragen so mit dazu bei, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird und eine weitere Verbreitung des Coronavirus langsamer vonstatten geht. In Bezug auf die geplanten Gespräche in den nächsten Tagen der Kirchen mit den Regierungen zu möglichen Änderungen in Bezug auf die Gottesdienste in Kirchengebäuden warten wir mal gespannt aber geduldig ab.

Apropos Abwarten: Wir sind ja in der Zeit nach Ostern. Also schaue ich mal auf die Geschehnisse nach der Auferstehung Jesu. Der Blick in die Bibel hilft mir. Bei keinem der vier Evangelisten wird ein großer Osterjubel erwähnt. Keiner von den vieren berichtet gar von einem freudigen Fest, so wie wir es gewohnt sind an Ostern. Übereinstimmend erzählen alle vier von Furcht, Angst, Entsetzen, Ungläubigkeit und Ungewissheit.

Das kommt mir gerade irgendwie bekannt vor. Davon ist doch bei uns auch allenthalben viel die Rede. Obwohl es uns eigentlich überwiegend ganz gut geht. Ich nehme natürlich auch einige Probleme, Einsamkeit, Verlust und Trauer wahr. Die Situation war damals also gar nicht so verschieden zu dem, was wir gerade erleben. Nur das Matthäusevangelium berichtet, dass die Jünger neben der Furcht auch große Freude hatten.

Und dann war da noch was anderes: In allen vier Evangelien wird im Zusammenhang mit der Auferstehung Jesu gelaufen. Mal laufen sie vom Grab weg, um die Geschichte von der Auferstehung Jesu den anderen zu verkündigen (Matthäus). Mal fliehen sie, laufen also richtig schnell weg (Markus), mal läuft Petrus hin zum Grab (Lukas) und bei Johannes gibt es sogar einen Wettlauf zum leeren Grab zwischen Petrus und dem sogenannten „Lieblingsjünger“ Jesu.

Das ist sicher kein Zufall, sondern hier wird bildhaft etwas zur Sprache gebracht, was von hoher Bedeutung ist: Die Jünger waren in Bewegung. Und das Laufen war Ausdruck der Unsicherheit, der Furcht, aber auch der Neugier. Hier konstituiert sich eine Haltung, die sich dann in der Zeit nach der Auferstehung Jesu fortsetzt.

Die Jünger suchen laufend nach dem, was kommt. Sie leben mit einem Mal in einer Zeit, in der das vertraute physische Zusammensein mit Jesus nicht mehr verfügbar ist. Ja, in gewisser Weise suchen sie laufend nach einer Form, wie sie nach Jesu Tod und Auferstehung leben können und wollen. Was daraus geworden ist, nennen wir heute Kirche. Oder die Gemeinschaft der Gläubigen. Aber schon die Zeit damals zeigt, dass das eine dynamische Entwicklung war.

Zurück zu meinem Laufschuh. Normalerweise würde ich mich jetzt auf die Marathonstaffel beim Gutenberg Marathon in drei Wochen in Mainz freuen. Und kräftig dafür trainieren. Aber der fällt aus. Warum, muss ich nicht erwähnen. Ist halt so. Ich muss darauf verzichten. Nachdem ich die letzten fünf Jahre immer dort war, ist das richtig schade. Und so geht es auch sicher den Konfis, die in den nächsten Wochen keine Konfirmation feiern können.

Jedenfalls laufe ich weiter und trainieren. Dann eben ein anderes Mal wieder in Mainz, hoffentlich. Und die Konfirmationen werden nachgeholt. Sicher! Ich laufe aber auch weiter, weil ich beim Laufen oft klar im Kopf werde. Mir kommen gute Gedanken. Und das Laufen hilft mir, an der frischen Luft zu sein. Über Gott und die Welt nachzudenken.

Und deshalb halte ich mich an die laufenden Jünger. Bin Suchender in ungewissen Zeiten. Laufender, um hier und da Klarheit zu bekommen. Und Glaubensgewisser. Weil Gott mir gerade in diesen Tagen nach Ostern nah ist und ich sagen kann: Läuft schon.