Ambivalent – ProvinzPost vom 11.4.2021

Dieses Bild habe ich noch genau vor Augen: es war ein sonniger heißer Tag im Sommer 1982. Unsere ganze Schule war mit einem Sonderzug nach Neustadt an der Weinstraße gefahren und zum Abschluss wurden die Einkäufe gegenseitig gezeigt und begutachtet. Wir saßen auf den Treppen vor dem Bahnhof und waren glücklich. Ich hatte zwei LP´s erstanden und bekam ein anerkennende „gute Wahl“ Reaktionen. Die beiden Platten stammten von BAP, „Für usszeschnigge“ und die gerade neu herausgekommene „Vun drinnen noh drusse“ LP. Die eine verdrängte die andere von Platz 1 der Charts, diese kölsche Musik war total angesagt damals.

Darauf sind die BAP-typische Rockmusik mit langen Gitarrensoli, Liebesliedern und politischen Songs wie „Kristallnaach“, „Wellenreiter“ oder eben „10. Juni“. Dieser Song spielt auf eine große Friedensdemo am 10. Juni 1981 in Bonn an, die gegen den Nato-Doppelbeschluss gerichtet war. Bis heute streiten sich die Gelehrten und Interessierten, was denn nun Ende der damaligen 80iger Jahre zum Frieden und zur Entspannung geführt habe: die Friedensdemos, der Doppelbeschluss und die daraus folgende militärische Abschreckung, Gorbatschow oder gar der Papst.

Ehrlich gesagt, ich selbst weiß es nicht. Und ich bin mir auch unsicher, ob man das jemals wird beurteilen können. Den Song fand ich super, live gespielt mit diesen eingängigen Gitarrenriffs einfach klasse zum Mitgehen. Und die Aussage bei BAP ist immer klar und deutlich. Dennoch habe ich schon damals eine gewisse Ambivalenz empfunden. Natürlich bin ich für den Frieden und gegen Atomwaffen. Natürlich bin ich als Christ für friedliche Lösungen und gegen Gewalt. Aber ich nehme auch wahr, dass es bis heute nicht immer die eine friedliche Lösung gibt und dass es zu Situationen in der Weltpolitik kommt, in der sich ein Staat auch verteidigen muss. Das alles ist wahnsinnig schwierig und eben: ambivalent.

Ich habe hohen Respekt vor denen, die sich aus Verantwortung auch staatlich für ausschließlich friedliche, gewaltfreie Lösungen einsetzen und mit der Bergpredigt argumentieren. Ich habe genauso hohen Respekt vor denen, die bewusst als Christen im Staat ebenso Verantwortung übernehmen und die Notwendigkeit von notfalls militärischer Abschreckung erkennen. Ich weiß nicht, was da richtig oder falsch ist. Ich weiß es wirklich nicht.

Genau das ist ambivalent, eben mehrdeutig und damit sind auch mehrere Deutungen möglich. Und vielleicht waren damals auch irgendwie alle daran beteiligt, dass es Ende der 80iger Jahre plötzlich einen Friedensprozess gab. Auf den hoffe ich bei allen Konflikten derzeit weltweit auch.  Das ist das, was ich tun kann: hoffen und selbst dazu beitragen, dass Konflikte gewaltfrei gelöst werden. Denn jenseits von Corona haben wir auch noch ein paar andere Probleme. Und der Song von BAP ist immer noch super in jeder Hinsicht.

ProvinzPost als Podcast zum Nachhören: https://youtu.be/YjY7ZgYcW9A